Wie gut ist das Durchschnittseinkommen in Deutschland im Vergleich zum Rest von Europa. Wir haben die aktuelle Situation analysiert und sind auf ein paar unbequeme Wahrheiten gestoßen. Unsere Lohnentwicklung steckt in einem Stau und Europa rast an uns vorbei.
Lohnentwicklung über die letzten 10 Jahre
Nach Berechnung des RWI (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung) beläuft sich hierzulande das durchschnittliche Einkommen eines Haushaltes auf rund 2.700 EUR pro Monat. Dieses steht dabei für das durchschnittliche Nettoeinkommen nach Abzug von Sozialabgaben und Steuern. Hieraus bleiben, nach Verrechnung mit lebensnotwendigen Ausgaben für Lebensmittel und Miete, rund 1.350 EUR zur freien Verfügung.
Das höchste Einkommen können, laut RWI, Beamtenhaushalte verbuchen. Auf der entgegengesetzten Seite stehen Rentner, Arbeitslosen- und Studentenhaushalte. Wird das durchschnittliche Bruttoeinkommen (ohne Sonderzahlungen) vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach Wirtschaftsbereichen betrachten, so lässt sich feststellen, dass die Kommunikations- und Informationsbranche derzeit die höchsten Löhne bezahlt.
Der “Gender-Gap”:
Beträchtlich ist hierbei auch der Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau (sogenannter Gender Gap, welcher in Prozent des Durchschnittsbruttoverdienstes in Stunden der männlichen Beschäftigten angegeben wird). In der Kommunikations- und Informationsbranche liegt der Gender Gap bei 27%, während er bundesweit im Schnitt etwa 23% beträgt.
Ärzte verdienen nur noch die Hälfte
Viele Deutsche hatten im letzten Jahr nach Abzug von Inflation ein geringeres Gehalt als noch im Jahre 1990. Ein starker Lohnrückgang machte sich vor allem bei den Ärzten bemerkbar, die etwa 50% weniger verdienten als noch vor 20 Jahren. Allerdings sind diese mit einem Durchschnittseinkommen von 6.400 EUR nach wie vor die Top-Verdiener in Deutschland. In diese Kategorie fallen zudem auch Anwälte, Notare, Unternehmensberater, Geschäftsführer, Elektrotechniker und Verwaltungsfachleute des höheren Dienstes. Über höhere Löhne durften sich seit 1990 lediglich Landwirte, Makler, Marketingfachleute und Designer freuen.
Wird die Gehaltsentwicklung nach beruflicher Stellung betrachtet, so konnten Beamten in dieser Zeit ihren Bruttoverdienst inflationsbereinigt um 10,7% steigern. Mit lediglich 2.280 EUR brutto belegen die Arbeiter dagegen den letzten Rang. Überraschend fiel zudem auch der Vergleich zwischen Jung und Alt aus. So verdient die ältere Belegschaft (über 50 Jahre) durchschnittlich 500 EUR brutto mehr als die jüngeren Kollegen. Ferner konnten diese ihr Einkommen deutlich stärker steigern und den Kaufkraftverlust der vergangenen Jahre mehr als überkompensieren. Den jüngeren Kollegen gelang dies nicht annähernd in diesem Maße.
Da sich in vielen Wirtschaftszweigen ein verhaltener Optimismus breit macht und zudem diverse Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen leicht angehoben haben, gehen Experten für dieses Jahr mit einem Anstieg bei den Gehältern von durchschnittlich gut 2% aus. Angesichts einer erwarten Inflationsrate von knapp unter 2% steigt der reale Lohngewinn allerdings nur geringfügig.
(Rest-) Europa hat uns abgehängt
Im vorletzten Jahr sind die Einkommen der Arbeitnehmer um lediglich 0,1% gestiegen. Damit zählte Deutschland innerhalb der EU zu den Schlusslichtern. Insgesamt entwickelten sich die Löhne hierzulande deutlich ungünstiger als in den meisten anderen EU-Ländern. Im EU-Durchschnitt haben die Arbeitnehmer 1,3% mehr in der Tasche gehabt. Vor allem im Jahr 2007 war der Unterschied sehr markant. Während das durchschnittliche Realeinkommen in der EU um 3,6% stieg, mussten wir hierzulande gar einen Rückgang der Reallöhne um 0,1% zur Kenntnis nehmen.
Im Pro-Kopf-Einkommen liegt Deutschland im europäischen Vergleich nach letzten Berechnungen des IWF (Internationaler Währungsfonds) lediglich auf Rang 13. Folgende Rangliste wurde vom IWF veröffentlicht (Angaben in US-Dollar):
- Liechtenstein: 135.000
- Luxemburg: 109.000
- Norwegen: 84.000
- Schweiz: 68.000
- Dänemark: 56.000
- Schweden: 49.000
- Niederlande: 47.000
- Irland: 46.000
- Österreich und Finnland: 45.000
- Belgien: 43.000
- Frankreich: 41.000
- Deutschland: 40.000
- England: 36.000
- Italien: 34.000
Werden nur die angrenzenden Staaten berücksichtigt, so liegt lediglich das Durchschnittseinkommen in Polen unter dem Deutschen. Die WKO (Wirtschaftskammer Österreich) nimmt Bezug auf eine Statistik der EU-Kommission, welche die Zunahme der realen Pro-Kopf-Verdienste aller EU-Länder in den Jahren 2000 bis 2011 gegenüberstellt. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Reallohnsteigerung brutto von -0,1% belegt Deutschland den unrühmlichen drittletzten Platz vor Portugal (-0,2%) und Griechenland (-0,4%). Abgesehen von den aufstrebenden Ländern Osteuropas wie Rumänien, Bulgarien und Estland habe wir selbst im Vergleich zu den anderen großen Volkswirtschaften wie auch den skandinavischen Ländern deutlich das Nachsehen.
Diese Länder liegen in Reallohsteigerung vor Deutschland (-0,1%):
- Rumänien: 5,8%
- Bulgarien: 4,2%
- Estland: 3,9%
- Lettland: 3,3%
- Schweden: 1,2%
- Dänemark: 1,1%
- Großbritannien: 1,0%
- Niederlande: 1,0%
- Frankreich: 0,9%
- Italien: 0,2%
Besserung für 2012 in Sicht
Eine aktuelle Auswertung der Unternehmensberatung Mercer liefert für 2012 ein ganz anderes Bild. So dürfte bei uns in Deutschland am Ende des Jahres inflationsbereinigt unter dem Strich eine Gehaltssteigerung von 2,9% stehen. Damit wären wir Spitzenreiter in Westeuropa (EU-Durchschnitt: 2,7%). Über die größten Gehaltssteigerungen werden sich wohl Norwegen (3,1%), Großbritannien, Schweden, Österreich, Holland und Belgien (alle 3,0%) freuen.
…aber Schere geht weiter auseinander
Keine gute Figur macht Deutschland bei dem Vergleich beider Geschlechter. Denn nur in Estland, der Slowakei, den Niederlanden und in Zypern seien die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen noch größer. Am geringsten waren die Unterschiede in Italien mit 4,4% sowie in Slowenien und Portugal mit jeweils 8,3%.
Auch die Einkommensungleichheit und Armut trifft uns etwas stärker als die direkten Nachbarn. Nach EU-Definition ist armutsgefährdet, wer über weniger als 60% des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung eines Landes verfügt. Weil die Armut in Deutschland demzufolge bei 940 EUR im Monat beginnt, gilt hierzulande ungefähr jeder sechste Einwohner (15,6%) als arm. Zum Vergleich: In den Niederlanden trifft dies in jedem zehnten Fall zu. Auch der Wert beim Nachbar Österreich fällt besser aus (12,1%).
Fazit: Wir stecken in einem “Lohn-Stau”
Wie den Zahlen entnommen werden kann, hinkt Deutschland in Bezug auf das Durchschnittseinkommen (Pro-Kopf) im Vergleich dem Rest von Europa deutlich hinterher. Nennenswerte Lohnsteigerungen konnten in den vergangenen Jahren nicht verzeichnet werden. Da darf die voraussichtliche Entwicklung in 2012 nicht darüber hinwegtäuschen, hat sich über die vergangenen Jahre doch ein wahrer Lohnstau gebildet.
Experten gehen davon aus, dass in den kommenden 10 Jahren weiterhin keine nennenswerten Lohnerhöhungen registriert werden. Schließlich hat zuletzt vor allem die moderate Lohnsteigerung zu einer erhöhten Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte am Weltmarkt geführt. Dies bestätigt ein Blick auf die Lohnnebenkosten: Im letzten Jahrzehnt haben sie sich hierzulande lediglich um 9,5% erhöht (EU-Durchschnitt: 38,5%).